Es fehlt an Spritzen, es fehlt an Handschuhen, es fehlt an Medikamenten, es fehlt schlicht an allem. Lebensnotwendige Behandlungen können nicht durchgeführt werden. 40 Prozent der Bevölkerung ist der Zugang zu einem Krankenhaus versperrt, weil sie über keine Krankenversicherung mehr verfügen. Die Situation im griechischen Gesundheitswesen dürfte hinlänglich bekannt sein. Aber auch in anderen Krisenstaaten ist die Lage prekär. Und die Verursacher sind schnell ausgemacht: Die Troika und ihr striktes Spardiktat. Dem IWF reichte es nicht, eine finanzielle Hungerkur zu verordnen, nein, er setzte faktisch die Souveränität der Länder außer Kraft und formulierte strikte Vorgaben:
So sollte Island nach dem Bankencrash im Gesundheitssektor 30 Prozent einsparen, Griechenland in 2009 seinen Etat von 24 auf 16 Milliarden zurückschrauben. Mit der Folge, dass u.a. die Kindersterblichkeit in Griechenland um beängstigende 40 Prozent stieg. Für die Griechen sollte die erste Kürzung nicht die letzte sein. Auch in 2010 und 2011 wurde auf Druck der Troika der Gesundheitsetat zurückgefahren, was zu den oben beschriebenen Zuständen führte, die man sonst nur aus den ärmsten Entwicklungsländern kennt. Und so ist es keine billige Polemik, wenn man sagt, man habe es hier mit verordneter Krankheit durch verordnete Armut zu tun.
Was dem einen oder anderen Verfechter der Austeritätspolitik als bedauerlicher, aber unausweichlicher Kollateralschaden erscheinen mag, ist allerdings alles andere, nur nicht unausweichlich. So sehen es zumindest David Stuckler und Sanjay Basu, zwei Epidemiologen, die seit Jahren ihre Forschungen auf die Frage konzentrieren, welchen Einfluss Krisen auf den Gesundheitszustand der jeweiligen Bevölkerung haben. Dabei verlassen sie sich nicht auf Fallstudien, sondern argumentieren strikt volkswirtschaftlich, werten Statistiken aus, prüfen Daten, Zahlen, Fakten, vergleichen aktuelle Krisen mit Krisen aus der Geschichte und kommen zu folgendem Schluss: „Recessions can hurt. But Austerity kills“. Unstrittig ist, dass Krisen krank machen. Die beiden Autoren ziehen zudem Studien heran, die den Beweis antreten, dass Arbeitslosigigkeit und Armut die Entstehung chronischer Krankheiten befördern. Die daraus gewonnene Erkenntnis kann demzufolge nur lauten, dass man in Zeiten der Krise den Gesundheitsetat erhöht, statt ihn zu senken.
Island ist diesen Weg gegangen und zeigte dem IWF die kalte Schulter – statt zuvor 21 Prozent flossen in der Krise 25 Prozent des Bruttosozialprodukts in den Sozialetat. Und das Ergebnis gab dieser Politik recht: Laut Stuckler und Basu sind die Isländer gesünder aus der Krise hervorgegangen. Doch Island ist nicht das einzige Beispiel, das die These der Epidemiologen untermauert. Großbritannien nach dem 2. Weltkrieg, Finnland und Schweden in den 80er- bzw. 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts, sie alle sparten in Krisenzeiten nicht beim Sozialetat und den Menschen blieben griechische Zustände erspart.
Die Ergebnisse von Stuckler und Basu sind unter dem Titel „The Body Economic“ in Buchform erschienen und man kann nicht umhin, Madame Lagarde und ihren Kumpanen die Lektüre wärmstens ans Herz zu legen.
Links:
Süddeutsche.de: Finanzkrise Europa – Wenn Sparen tötet
Blog: The Body Economic von David Stuckler und Sanjay Basu