Wolfgang Schäubles Reformvorschlag zur Erbschaftsteuer ist eine diskutable Grundlage. Anlass zu Jubel besteht nicht. Ein Kommentar von mir und Ralf Stegner in The European.

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Der Erfolg des Wohlfahrtsstaats sozialdemokratischer Prägung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wäre ohne angemessene Besteuerung, vor allem hoher Einkommen und Vermögen, nicht denkbar gewesen. Eine sozialdemokratische Steuerpolitik zeichnet sich, da stimmen wir Giacomo Corneo zu, durch eine faire, weil progressive, und zudem einfache Besteuerung aus, bei der die Einnahmen effizient verwendet werden. Sicherlich muss eine kluge sozialdemokratische Politik heute genauer abwägen als in Zeiten des Nachkriegskapitalismus: Wo sind die Grenzen des nationalen Handlungsspielraums und wo sind entschiedenes europäisches Handeln und internationale Regeln gefordert?

Dennoch: Die Zeiten für Steuerhinterzieher und Steueroasen sind zwar noch nicht hart genug, aber immerhin härter geworden, die große Erzählung der alternativlosen Steuersenkung im internationalen Wettbewerb hat an Glanz verloren. Zudem thematisiert die Wirtschaftswissenschaft die zunehmende Ungleichheit, und auch, welche negativen Folgen dies neben der offenkundigen Ungerechtigkeit für Wachstum und Beschäftigung hat.

Eine zivilisierte Gesellschaft braucht hohe Steuern, da hat der Nestor der Ungleichheitsforschung, Sir Tony Atkinson, den berühmten Nagel prägnant auf den Kopf getroffen. Man muss nicht Atkinsons Vorschlag eines aus höheren Erbschaftsteuern finanzierten „Mindesterbes“ für jeden Staatsbürger folgen und auch nicht die These der Autorin Julia Friedrichs vollständig teilen, dass sich viele Erben schuldig fühlen.

Fortschrittlicher Konsens sollte dennoch sein, große Erbschaften wieder ins Zentrum der Gerechtigkeitsdebatte zu rücken. Denn das ungleich machende Erbe wird – wenn wir Thomas Piketty folgen – im Zeitverlauf weiter ansteigen, denn vor „allem die nach 1970 Geborenen leben schon wieder im Bewusstsein, dass die Erbschaft in ihrem Leben und dem ihrer Freunde oder Verwandten eine entscheidende Rolle spielt. Wer beispielsweise Hausbesitzer wird (…) hängt nun ganz wesentlich, zumindest ungleich stärker als in der Generation ihrer Eltern, davon ab, was und wie viel sie erben oder eben nicht.“

Bei der anstehenden Reform der Erbschaftsteuer geht es jedoch nicht um Wohnhäuser und damit um die Erbschaften der breiten Mittelschichten. Diese Erbschaften sind durch sehr hohe Freibeträge weitgehend freigestellt. Stattdessen geht es um die Frage, ob große Betriebsvermögen weiterhin steuerfrei übertragen werden sollen. Im Vergleich zu Wohneigentum ist das Betriebsvermögen, das bei den Superreichen 75 Prozent der Vermögen ausmacht, besonders ungleich verteilt. Die bisherige Rechtslage hat zu enormen Steuerausfällen geführt. Von 2009 bis 2013 wurden aufgrund der bestehenden Privilegierungen 105 Mrd. Euro Betriebsvermögen steuerfrei übertragen. Die Steuerausfälle dürften sich auf 25 Mrd. Euro summieren, so Stefan Bach vom DIW. Ein Großteil der Steuerausfälle entstand dabei durch vorgezogene Schenkungen und wird zukünftige Einnahmen erheblich mindern.

Das Bundesverfassungsgericht hat Ende letzten Jahres die weitgehenden Verschonungsregeln in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Dreierlei kritisierten die Richter besonders. Erstens, dass Unternehmen mit bis zu 20 Arbeitnehmern verschont werden, ohne dass der Erhalt von Arbeitsplätzen nachgewiesen werden muss. Zweitens, dass bisher auch sogenanntes Verwaltungsvermögen, damit ist nicht-betriebsnotwendiges Vermögen gemeint, weitgehend steuerfrei übertragen wird. Aber vor allem monierten die Verfassungsrichter drittens, dass auch sehr große Betriebsvermögen komplett steuerfrei und ohne Bedürfnisprüfung vererbt oder verschenkt werden können.

In einem Debattenbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ haben wir bereits vor dem Urteil darauf hingewiesen, dass, auch wenn der Arbeitsplatzerhalt das wichtigste Kriterium ist, eine Steuerbefreiung nicht zwingend geboten sein muss. Großzügige Stundungs- und Verrentungsregeln in Kombination mit einer temporären Begleichung der Steuerschuld durch Unternehmensanteile wären völlig ausreichend, wenn gleichzeitig das vorhandene Vermögen des Erben berücksichtigt wird – denn wer schon Geld besitzt, kann auch aus diesem seine Steuerschuld bezahlen. Klar war aber auch, dass in einer Großen Koalition „100 Prozent SPD“ nicht umsetzbar ist.

Im Sinne des Urteils und auch aus Gerechtigkeitserwägungen ist es daher nur folgerichtig, wenn Bundesfinanzminister Schäuble in seinen Eckpunkten zur anstehenden Reform eine Bedürfnisprüfung bei Übertragungen von betriebsnotwendigen Vermögen ab 20 Mio. Euro vorschlägt. So soll bis zu 50 Prozent des vorhandenen oder mitübertragenen Privatvermögens zur Begleichung der Erbschaftsteuer herangezogen werden können. Das ist ein klarer Schritt in die richtige Richtung und entspricht dem Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Es verwundert daher nicht, dass von den Unternehmensverbänden und Lobbygruppen entschiedener Widerstand organisiert wird. Auch die Freude in der Unionsfraktion hält sich in Grenzen.

Trotzdem besteht kein Anlass zum Jubel. Ein nüchterner Blick in die Statistik hilft dabei. Im Jahr 2013 wären maximal 59 Erben von insgesamt über 121.000 betroffen gewesen, wenn wir die vorgezogenen Schenkungen außer Acht lassen. Der Gesamtwert dieser Erbschaften betrug 2,6 Mrd. Euro, wovon ca. 1,5 Mrd. Euro als Betriebsvermögen steuerfrei gestellt wurde. Hieraus ergibt sich bei einem Steuersatz von 30 Prozent ein Einnahmeeffekt von maximal 450 Mio. Euro. Allerdings nur dann, wenn das sonstige Vermögen der Erben oder Beschenkten ausreicht, um die Steuer zu begleichen.

In Anbetracht der Steuerausfälle der vergangenen Jahre und des Volumens des Betriebsvermögens ist das eindeutig zu wenig. Die Vorschläge von konservativer Seite, die Grenze bis 100 Mio. Euro auszuweiten, wodurch nur noch eine Handvoll Erbschaften jährlich betroffen wären, kann man nur als schlechten Scherz verstehen.

Die Schwäche des Vorschlags des Finanzministers liegt somit auf der Hand. Die Schwelle für die Bedürfnisprüfung ist eher zu hoch angesetzt. Besser noch wäre es, den Schwellenwert auf das Unternehmen zu beziehen, bspw. ab einem Unternehmenswert von 50 Mio. Euro. Denn bei der geplanten Regelung können kleinere Anteile an milliardenschweren Unternehmen weiterhin ohne Bedürfnisprüfung weitergereicht werden. Auch kann die Bedürfnisprüfung einfach umgangen werden. Erst wird das Betriebsvermögen steuerfrei an die Kinder verschenkt, da diese kein hinreichendes eigenes Vermögen haben. Dann folgt nach zehn Jahren das übrige Vermögen.

Aus sozialdemokratischer Sicht hat der Vorschlag des Finanzministers daher Licht und Schatten. Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer sind bei den Ländern besonders wichtig, um die Aufgaben bei Bildung und Infrastruktur zu lösen. Die Reform der Erbschaftsteuer ist nötig, um das neue Recht umgehungs- und damit verfassungssicher zu machen. Dafür sind ganz andere Korrekturen nötig, als sie von Wirtschaftsvertretern oder dem Wirtschaftsflügel der Union gefordert werden.

Dieser Text ist zuerst in The European erschienen.