Man möchte meinen, Europa liege im Himalaya, so oft wie sich die europäischen Staats- und Regierungschefs und Fachminister auf Gipfeln begegnen. Die tonangebende deutsche Kanzlerin ist eine Verfechterin von derlei Veranstaltungen, sind sie doch medienwirksam und suggerieren, man habe die Probleme erkannt und packe sie beherzt an. Die Ergebnisse allerdings können mit den schönen Hochglanzfotos und den vollmundigen Verlautbarungen nicht konkurrieren.
So auch bei den jüngsten Gipfeln — am 27. und 28. Juni in Brüssel und am 3. Juli in Berlin. Bereits im Vorfeld des Brüsseler Gipfels war klar, welches das bestimmende Thema sein werde: die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Die Zahlen müssten aufschrecken: 5,5 Millionen junger Europäer sind derzeit ohne Job. Dieser Herausforderung begegneten die Gipfelteilnehmer in Brüssel mit mageren 6 Milliarden Euro im Rahmen der Finanzplanung 2014 bis 2020, Geld, das im Zuge einer „Initiative für Jugendbeschäftigung“ in Regionen fließen soll, wo die Jugendarbeitslosigkeit mindestens 25 Prozent beträgt.
Im Wahljahr jedoch steht der Kanzlerin der Sinn nach noch mehr Aktionismus und so lud sie am 3. Juli zum „Gipfel der Praktiker“ ins Bundeskanzleramt. Und während drinnen die europäischen Arbeitsminister und Arbeitsministerinnen tagten, versammelten sich vor dem Kanzleramt die Menschen, um deren Zukunft es geht. Auf Einladung des DGB reisten junge Gewerkschafter aus ganz Europa an und machten mit Trillerpfeifen, Trommeln und Plakaten deutlich, was sie von den jüngsten Beschlüssen halten: Nichts. Sie fordern eine andere Politik, wenden sich gegen das von Deutschland verordnete Spardiktat, das die Wirtschaft abwürgt und Arbeitsplätze vernichtet. Sie fordern das Recht ein, nicht emigrieren zu müssen, und eine Arbeitsgarantie für das eigene Land. Sie fühlen sich als Europäer und sehen die europäische Idee in Gefahr.
Und während man draußen ein Umdenken forderte, saß man drinnen und macht weiter wie bisher: Programme, Pläne, Absichtserklärungen, Empfehlungen — ein großer Wurf sieht anders aus.
Immerhin, die Kanzlerin nahm sich zwanzig Minuten Zeit für eine Delegation junger Gewerkschafter. Das Ergebnis muss als schallende Ohrfeige für die um ihre Zukunft bangenden jungen Menschen bezeichnet werden. Merkel signalisierte, das Geld werde wohl nicht reichen, und verwies auf den nächsten Gipfel im Herbst. Allerdings verriet die ansonsten um die Wahrung ihrer Privatsphäre sehr bedachte Kanzlerin eine kleines Geheimnis aus ihrem Privatleben: Sie habe sich dereinst vorstellen können, Arbeitsamtsdirektorin zu werden. Sprach‘s und eilte zu den „Praktikern“, um sie auf strikte Arbeitsmarktreformen für ihre Länder einzuschwören.
Link:
DGB Jugend: Europa gehört nicht der Bank
Links zu den Ergebnissen der Gipfel:
FAZ: Jobgipfel in Berlin – 24 Milliarden gegen Jugendarbeitslosigkeit
ZEIT ONLINE: Jugendarbeitslosigkeit – Der Gipfel des schlechten Gewissens