„Deutschland kann sich höhere Löhne leisten“ lautet das Resümee des 109. IMK-Reports (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung) der Hans Böckler Stiftung und das ist an sich eine gute Nachricht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Jedoch gibt es gravierende Lohnunterschiede v.a. zwischen dem Dienstleistungs- und Industriesektor, europaweit sogar die größten (siehe Grafik).
Eine Arbeitsstunde im verarbeitenden Gewerbe wird mit durchschnittlich 37 € um ganze 8 € besser bezahlt, als für Dienstleister (29 €). Diese Differenz lässt sich laut IMK auf die stagnierenden Löhne in der nicht exportorientierten Wirtschaft zurückführen. Die deutsche Binnenwirtschaft konnte insgesamt nur ein schwaches Wachstum in den letzten Jahren verzeichnen, was natürlich auch Einfluss auf die Löhne hatte.
Doch auch die europäische Wirtschaft wird von diesen innerdeutschen Entwicklungen beeinflusst. Denn auch wenn Deutschland nach wie vor große Erfolge im Export vermelden konnte, blieben Importsteigerungen weitestgehend aus. Die IMK-Studie beurteilte die so entstandenen Leistungsbilanzüberschüsse in Hinblick auf die europäische Wirtschaft deshalb kritisch. Wenn Deutschland nicht mehr importiere, haben andere EU-Mitgliedsländer Probleme, ihre Waren zu exportieren. Dieser Trend würde zwar kurzfristig weiter zu Vermögensbildung führen, allerdings nur solange sich die Exportabnehmer noch deutsche Produkte leisten können. Langfristig würde die derzeitige Strategie also keine europäische Stabilisierung und auch keine Lösung der anhaltenden Eurokrise bedeuten.
Eine aktuelle Verbesserung, die der Report vermerken konnte, betraf die Lohnungleichheit zwischen Industrie- und Dienstleistungssektor und ist auf den Mindestlohn zurückzuführen, für den die SPD jahrelang gekämpft hat. Durch die steigenden Arbeitskosten bei Dienstleistern um 3,1 % und einen relativ niedrigen Wert bei der Industrie (nur 2,5 %), kam in der ersten Hälfte des Jahres 2015 Hoffnung auf eine Angleichung der Löhne auf. Jetzt bleibt zu hoffen, dass diese erfreuliche Entwicklung nicht nur eine einmalige Auswirkung des Mindestlohns war und in Zukunft auch Dienstleister höhere Löhne für ihre Arbeit erzielen können.
Der Kampf gegen prekäre Beschäftigung wird mich auch weiter beschäftigen. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten bspw. in Arbeitsverträgen, an denen die Lohnsteigerung vorbeigeht. Dieser Umstand wird beispielsweise durch den Rückgang von Beschäftigungsverhältnissen mit Tarifbindung verursacht. Laut dem Bundesamt für Statistik lag im Jahr 2010 bei nur noch etwas mehr als der Hälfte aller Arbeitsverhältnisse ein Tarifvertrag zugrunde. Deshalb muss ein Ziel sein, so viele Menschen wie möglich in ein Normalarbeitsverhältnis zu bringen. Andrea Nahles hat bereits Vorschläge unterbreitet, wie sich der Missbrauch von Zeitarbeit und Werkverträgen unterbinden ließe. In den Verhandlungen zeigt sich auch bereits der harte Widerstand der Unionsparteien. Ich hoffe aber, dass im nächsten Jahr für diese Menschen reale Verbesserungen erreicht werden können.