wahlen

Es lässt sich ein Trend beobachten. Einer, der uns Sorgen bereiten sollte: Im Jahr 2013, kurz vor der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag, ist es schick geworden, sich öffentlich zum Nichtwähler zu bekennen. Das, was jahrzehntelang verpönt war und allerhöchstens als Trotzreaktion oder hoffnungslose Unbeteiligtheit einer sowieso nicht „ganz ernst zu nehmenden Randgruppe“, nämlich die der sozial Benachteiligten, wahrgenommen wurde, wird plötzlich zum Zeichen besonders kluger Weitsicht umgedeutet. Es klingt ja auch so verlockend, wenn selbst der Philosoph Peter Sloterdijk oder der Sozialpsychologe Harald Welzer erklären, warum nur das Nichtwählen den etablierten Parteien und deren Vertretern den nötigen Schrecken einjagen kann, den diese angeblich so dringend benötigen, um endlich gute Arbeit abliefern zu können.

Bascha Mika, Publizistin und ehemalige Chefredakteurin der taz, räumt nun in der Frankfurter Rundschau endlich auf mit der selbstgerechten Verdrossenheitsjammerei ihrer intellektuellen Kollegen. Scharf kritisiert sie zum einen die Tendenz, vermeintlich „gute“ und „schlechte“ Nichtwähler zu unterscheiden. Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass die Damen und Herren von der schreibenden und denkenden Zunft selbst eine Rolle im Spiel der Politik innehaben und diese gefälligst füllen sollen, bevor sie Scheindebatten dieser Art entfachen. Mika beschreibt die Politik als Dienstleister, der im günstigsten Falle die Aufgaben umsetzt, die die Bevölkerung ihm vorgibt. Visionen entwickeln, Druck aufbauen, Ideen vom besseren Leben diskutieren – das sei die eigentliche Aufgabe all derer, die in der Abkehr von der Politik seit Neuestem eine besonders clevere Lösung sehen.

Ja, Politik ist oft langsam – sehr langsam. Und sexy ist sie sowieso nie, höchstens ermüdend und auch nicht selten für alle Beteiligten frustrierend. Und trotzdem: Gesellschaft muss gestaltet werden, von jenen, die wählen, jenen, die sich wählen lassen, von jenen, die kritisieren, demonstrieren und nachdenken, und auch von Politikern, die sich Gedanken über Nichtwähler machen. Denn: Wer nicht wählt, hat seine Gründe, und dies gilt heute genauso wie vor 30 Jahren. Diese Gründe sind sicher vielschichtig, für manche nachzuvollziehen, für andere nicht. Wer die Wahlverweigerung für falsch hält, der sollte doch mindestens mit gleichem Maße urteilen – schließlich hat auch jede Stimme dasselbe Gewicht. Und er oder sie sollte argumentativ in die Bresche springen für das, was nun mal eine der zentralen Grundlagen für eine demokratische Staatsordnung ist: Das „sich Gedanken machen“ über verschiedene Positionen, das Abwägen und Stellung beziehen. Das Erkennen von Problemen, wo versucht wird, diese zu verschleiern. Dabei sollte man die Bürger nicht alleinlassen, schon gar nicht in einem Wahlkampf, in dem eine amtierende Regierung uns tatsächlich glauben machen will, es gäbe keine Alternative. Doch, die gibt es. Und wem es nicht reicht, der sollte aufstehen und sie nach seinen Vorstellungen schaffen!

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