Oktober 2012. Die wenigen deutschen Touristen freuen sich über die südliche Sonne und das noch immer warme Meer. Die einheimischen Jugendlichen gehen schon lange wieder zur Schule in der nahe gelegenen kleinen Bergstadt, wenn die Lehrer nicht gerade streiken. Wie in den meisten anderen Staaten Südeuropas ist Notstand in Griechenland. Vor allem für die Jugend.
Die Jugend in den sogenannten Krisenstaaten bildet die gesellschaftliche Gruppe, die ohne ihr Zutun am meisten unter den Auswirkungen der Finanzmarktkrise zu leiden hat. Sie ist die Generation, die an dem derzeit höchst desolaten Zustand ihres jeweiligen Heimatlandes keinerlei Schuld trägt. Hingegen trägt sie schwer an der Bürde eines ihr auferlegten Erbes, das sie verpflichtet, die politischen und nicht selten auch gesellschaftlichen Strukturen ihrer Länder zu ändern, Strukturen, die die momentane Situation befördert haben.
Als Kanzlerin Merkel anlässlich ihres bevorstehenden Griechenland-Besuches Anfang Oktober 2012 in Berlin vor die Presse trat, hatte sie überraschenderweise eine ganz neue Botschaft zu verkünden. Sie wollte bei ihren deutschen Mitbürgern um Solidarität mit dem griechischen Volk werben, insbesondere in Hinblick auf die Jugend: „Man stelle sich vor, hier bei uns wäre jeder Zweite unter 25 arbeitslos“. Vergessen war das Bild vom „faulen Griechen“, vom „faulen“ Südländer im Allgemeinen, vergessen auch die Androhung einer Rückkehr zur Drachme.
Kaum vorstellbar hierzulande: Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland erreichte im Oktober 2012 einen historischen Höchststand von 54,2 Prozent. Nun, ein Dreivierteljahr später, ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen. In 2013 hat sich der Stand der Jugendarbeitslosigkeit abermals erhöht: auf mehr als 64 Prozent. Den Mitleidsbekundungen der deutschen Kanzlerin sind keine Taten gefolgt. Das deutsche Austeritätsdiktat wird gnadenlos durchgesetzt, Massenentlassungen werden fortgeführt. Maßnahmen, die horrenden und immer weiter steigenden Arbeitslosenquoten der südeuropäischen Staaten zu bekämpfen, wurden nicht beschlossen.
Der Umstand der erschreckend hohen Quote der Jugendarbeitslosigkeit birgt für Südeuropa weitere Gefahren: Das Phänomen der Auswanderung nimmt vor allem in Griechenland immer größere Dimensionen an. Es sind in erster Linie Akademiker, die nach Nordeuropa, Australien und Amerika auswandern, weil sie in ihrer Heimat für sich keine Perspektiven mehr sehen. Aus Deutschland kommen unterdessen Signale, dass Ingenieure, Informatiker und Ärzte gebraucht werden. Fachkräfte sind gefragt. Sie kommen zu Tausenden. Die Abwanderung gut ausgebildeter junger Griechen und anderer Südeuropäer hat sich seit 2010 in etwa verdoppelt. Die Länder werden somit in zunehmendem Maße ihrer Zukunft beraubt – im doppelten Sinne: Jugend heißt Zukunft und ohne eine gut ausgebildete Jugend sieht es für die Zukunft dieser Länder in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht düster aus.
Samuel Coulmassis, Jahrgang 1991, ist ein Berlin-Kreuzberger mit griechischen Wurzeln. Zurzeit ist er bei der Europäischen Vereinigung der Genossenschaftsbanken in Brüssel tätig.