Rede zur Kandidatur für Platz 5 der Landesliste auf der LandesvertreterInnenversammlung der Berliner SPD am 25.05.2013 im Estrel Berlin-Neukölln
Hier die Rede zum Anhören (mp3)
„O Herr, lass mich da stehen, wo die Stürme wehen, und verschone mich nicht.“
Liebe Genossinnen und Genossen,
ich möchte keine Bergpredigt halten. Nein! Der Eingangssatz stammt von meinem politischen Ziehvater Ottmar Schreiner und ich habe ihn oft gehört. Dieser Satz zeigt Geradlinigkeit, Standhaftigkeit und vor allen Dingen Mut — auch in für die Sozialdemokratie schwierigen Zeiten. Auch dann, wenn die neoliberale Hegemonie erdrückend erscheint. Er zeigt, dass wir niemals unseren sozialdemokratischen Kompass aus den Augen verlieren dürfen.
Ja, und wo stehe ich nun konkret?
Ich bin in Berlin als Kind einer Gastarbeiterfamilie geboren. Meine Eltern hatten den Wunsch vieler Eltern, nämlich dass es meinem Bruder und mir besser gehe im Leben, nur hatten sie nicht die Mittel, die im sogenannten Bildungsbürgertum zum alltäglichen Leben gehören. Dieses Manko — ja, man kann es so bezeichnen — konnte ich dank sozialdemokratischer Bildungspolitik ausgleichen, und zwar durch den Besuch einer Ganztagsgrundschule. Ich habe Freundinnen scheitern sehen, die nicht dieses Glück hatten.
In der Schule wurde ich mit vielem versorgt — Bücher, Theaterbesuche, Kultur ganz allgemein. Meine Neugier wurde geweckt, mein Blick geschärft, auch für soziale Fragen. Ich bin in SO 36 aufgewachsen, liebe Genossinnen und Genossen, und dort gehörten und gehören soziale Fragen zum alltäglichen Dasein. Und so habe ich mir Fragen gestellt. Fragen zur Gerechtigkeit, Fragen zur Verteilung zwischen Arm und Reich, Fragen zur Teilhabe von Menschen, die nicht mit dem vielzitierten goldenen Löffel im Munde zur Welt kamen. Schnell habe ich mein Interesse für wirtschaftliche Zusammenhänge entdeckt, weil Verteilung dort anfängt. Bekommt jemand einen gerechten Lohn für seine Arbeit? Wohin fließen die Gewinne? Beteiligen sich die, die Gewinne erzielen, ihren Möglichkeiten entsprechend am Gemeinwesen?
Und so war es nur logisch, dass ich mich nach dem Abitur für das Studium der Volkswirtschaftslehre entschloss. Und dieser Weg hat mich am Ende zu Ottmar geführt, einem Sozialdemokraten durch und durch.
Doch zurück zur Volkswirtschaft, zur Ökonomie. Es ist nicht die vermessene Sicht einer Ökonomin, wenn ich sage, die Ökonomie ist das zentrale politische Feld. Ohne eine gute Ökonomie ist alles nichts. Schauen wir nach Südeuropa, dort sehen wir, was man mit einer falschen Weichenstellung in ökonomischen Fragen anrichten kann. Das Merkel’sche Spardiktat bestraft die Menschen und lässt die davonkommen, die die Verursacher der Krise sind. Die Zukunft einer Gesellschaft, die Jugend, steht mit leeren Händen da. Gut ausgebildet wie in Spanien können sie ihrem Land nicht das zurückgeben, was sie an gesellschaftlicher Solidarität erfuhren. Um halbwegs existieren zu können, müssen sie ihr Land, müssen sie Familien und Freunde verlassen.
Das nur ein Beispiel, wer die Opfer der Krise sind. Wir alle kennen die Bilder aus Athen, Madrid, aus Lissabon, wo Abertausende demonstrieren, weil ihnen allmählich die Luft zum Atmen abgedrückt wird.
Doch wir müssen nicht weit blicken, liebe Genossinnen und Genossen, denn wer kennt sie nicht, die Flaschensammler in unserem Straßenbild? Darunter viele Rentner, die von ihrer Rente nicht angemessen leben können. Inzwischen gibt es Initiativen, die eine extra Pfandkiste fordern, damit der entwürdigende Griff in den Mülleimer überflüssig wird.
Das ist nicht die Gesellschaft, in der wir leben wollen, nicht wahr, liebe Genossinnen und Genossen?
Mehr denn je stehen wir am Scheideweg. Die Entscheidung lautet: Egoismus oder Gemeinwohl? Unsere Entscheidung als Sozialdemokraten dürfte klar sein. Und dazu gehört, dass wir den Starken mehr abverlangen. Dass wir durch eine von sozialdemokratischen Werten geprägte Politik denen das Vertrauen zurückgeben, die es verloren haben. In uns. In die Solidarität. In die Demokratie. Es denen zurückgeben, für die Gerechtigkeit nur noch ein Schlagwort ist. Dieser Vertrauensverlust schwächt unsere Demokratie und macht jene stark, die keine offene Gesellschaft wollen.
Zur Ehrlichkeit einer Sozialdemokratin gehört, dass sie hier steht und sagt: Wir haben das mit zu verantworten. Und deshalb ist es wichtig und richtig, dass die Partei Korrekturen an der Agenda 2010 vornimmt. Denn wer, wenn nicht wir, die Deutsche Sozialdemokratie, hat die Kraft, aus Fehlern zu lernen?
Reformen im Sinne der Menschen sind nur mit uns möglich. Daran möchte ich mitwirken, möchte die Genossinnen und Genossen in der Fraktion unterstützen, die bereits früh auf Fehler und drohende Fehlentwicklungen hinwiesen. Möchte den Schulterschluss mit den Gewerkschaften suchen, und zwar nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. Glaubwürdig! Schließlich war ich erst Gewerkschafterin und wurde dann Parteimitglied.
Und so mache ich mir den Eingangssatz zu eigen und sage: „O Herr, lass mich da stehen, wo die Stürme wehen, und verschone mich nicht.“ Und ich bitte Euch, mich genau dorthin zu stellen, bitte Euch um Eure Unterstützung auf meinem Weg in den nächsten Deutschen Bundestag.
Danke!